Alte Mauern und altes Brot
Nachhaltigkeit ist auf Fünen erklärtes Tourismusziel

Alles, was sich noch nutzen lässt, wird tatsächlich genutzt – so funktioniert die dänische Insel Fünen schon an vielen Stellen. Auch in Tourismus und Gastronomie verbreiten sich nachhaltige Ideen immer weiter.

„Dieses Schloss ist wirklich nachhaltig“, sagt Kenneth Birler. „Immerhin stehen die ältesten Teile hier seit dem 12. Jahrhundert.“ Das Hauptgebäude von Broholm Slot ist ziemlich genau 400 Jahre alt. Viele Möbel stehen seit vielen Jahrzehnten in den Räumen im Erdgeschoss, werden genutzt, solange es geht.
Seit sage und schreibe 13 Generationen wohnte die Eigentümer-Familie in diesen Mauern, betrieb Forst- und Landwirtschaft. Erst Ende der 1990er Jahre wurde das ehrwürdige Gemäuer zu einem Hotel umgebaut. Bis heute kümmert sich der Eigentümer um viele Dinge auf dem Gelände.
Drinnen aber wirkt Kenneth. Der gelernte Koch mietete vor elf Jahren das Areal, betreibt hier seitdem Hotel und Restaurant. 16 Zimmer bietet er seinen Gästen innerhalb der Mauern an, weitere drei ein paar Schritte weiter in der ehemaligen Wassermühle. Seine Küche hat einen ausgezeichneten Ruf, dort werden hauptsächlich Zutaten aus der Umgebung verwendet - soweit es möglich ist. Das betrifft Fisch und Fleisch genauso wie Gemüse. „Bis in den späten Herbst hinein bekommen wir es von einer kleinen Farm hier auf einer Nachbarinsel“, erzählt der Chef. Und so wechseln die Menüs hier alle zwei Monate, folgen dabei den Jahreszeiten. „Erdbeeren im Winter gibt es bei uns nicht.“ Die Kräuter stammen aus dem schlosseigenen Garten. Wenn es nötig ist und seine Zeit es zulässt, steht Kenneth auch gern noch selbst am Herd. Der immerhin ist modern, denn das spart Strom.
Und nicht zuletzt stammen auch viele Getränke aus der Gegend, etwa Bier und Limonade, Gin oder Whisky. „In nicht mal 15 Minuten Entfernung gibt es drei Öko-Destillerien“, schmunzelt der Hoteldirektor.
Einrichtung und Mobiliar sind nahezu vollständig im Originalzustand erhalten und werden weiter genutzt. Auch das macht den Charme von Kaminzimmer und Salon aus – und darf als nachhaltig gewertet werden. Dass die Kerzen im Kronleuchter schon seit vielen Jahren LEDs sind, ebenfalls.
Der Strom, der dafür und für alle anderen Zwecke gebraucht wird, entsteht komplett aus Windenergie. Geheizt wird der steinerne Kasten ausschließlich mit Hackschnitzeln, also zerkleinertem Holz aus dem gutseigenen Forst.
Immer mehr seiner Gäste interessieren sich für Nachhaltigkeit, meint Kenneth. „Besonders die jüngeren aus den großen Städten legen Wert darauf. Aber mir selbst ist es wichtig.“
Altes Brot für frisches Bier

In Årslev gibt es Sonnenschein in Flaschen. So zumindest behauptet es das Etikett von „Sunshine“, einer von vielen Biersorten in Midfyns Bryghus. „Es geht im Text um das dänische Wetter, darum, dass es nicht immer gut ist und dass wir deshalb den Sonnenschein abgefüllt haben“, sagt Tobias Rieck, der hier seit zwei Jahren der Herr der Tanks ist. Der Braumeister findet die mittlere Größe des Betriebes angenehm: „Hier hat man sozusagen noch die Hände im Bier statt zu oft im Büro zu sitzen. Und ich mag die vielen verschiedenen Sorten.“ Etwa 15 stehen derzeit im Regal, manchmal kommen noch saisonale Abfüllungen hinzu, zum Beispiel zu Halloween oder Weihnachten. Sie alle werden weder gefiltert noch pasteurisiert, sondern direkt abgefüllt, sobald sie fertig sind.
„Sunshine“, ein helles Bier, das mit Mango-Sirup verfeinert wird, verkauft sich am besten. „Es ist nicht sehr bitter – das mögen auch Leute, die sonst kein Bier trinken.“
Jedes Jahr werden ungefähr sechs neue Rezepte getestet, die sich Chef-Brauer und sein Kollege Mathias ausdenken. Alle Sorten werden hauptsächlich auf Fünen verkauft, aber auch auf anderen dänischen Inseln. „Das soll noch mehr werden“, sagt Tobias. „Wir sind offen für neue Märkte. Unser Weihnachtsbier zum Beispiel verkaufen wir auch nach Norwegen.“
Immer mehr Kunden entscheiden sich gegen Biere aus den großen Bierfabriken, weiß der 35-Jährige. „So wie sie in Restaurants immer öfter wissen wollen, was genau sie da essen, so interessiert es sie beim Bier auch. Sie können hierher kommen und alles anschauen.“
Seit 2006 betreibt der Amerikaner Eddie Szweda die Brauerei. Oft und gern stellt er seine Produkte auf Veranstaltungen vor. „Jede Sorte hat ihre eigene Story auf dem Etikett – die Leute mögen das“, erzählt sein Braumeister.
Jedes Jahr Ende September aber kommt Brot in die Tanks. „Dann ist bei uns in Dänemark der nationale Tag gegen die Verschwendung von Lebensmitteln. Wir brauchen für ein dunkles Ale 800 Kilogramm Getreide, ersetzen davon aber ein Viertel durch Roggenbrot, das nicht verkauft wurde.“ Es stammt aus einer Bäckerei im nahen Svendborg. In der Brauerei werden Zucker und Geschmacksstoffe extrahiert. „Roggenbrot ist schließlich gut für Menschen, denn es hat so viele wertvolle Inhaltstoffe. Ich mag es, wenn wir es zum Brauen nutzen können. Ich überlege, ob wir regelmäßig ein Roggenbier daraus machen können.“ In früheren Zeiten hätten die Menschen das ebenfalls getan, weil sie die vorhandenen Lebensmittel komplett nutzen mussten.
Erklärtes Ziel des Tourismus
Diese Weiterverwertung hat ebenso mit Nachhaltigkeit zu tun wie viele andere Aktivitäten auf Fünen. Im Herbst 2020 trafen sich Touristiker der Insel, um gemeinsam zu überlegen, wie die gesamte Branche diesem Ziel näherkommen kann. „Das war etwas Besonderes: Wir hatten keine Strategie, sondern haben zuerst nach möglichen Aktivitäten gefragt“, erinnert sich Mark Hauge Østergaard, der beim Tourismusverband Fünen für Nachhaltigkeit und Digitalisierung verantwortlich ist. „Denn wir brauchen die touristischen Unternehmer an Bord.“
Orientiert an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, erstellten sie einen Leitfaden. „Und wir haben Unternehmen, die schon nachhaltig arbeiten, um Inspirationen gebeten.“ Denn es gab auch früher schon Angebote, die nachhaltig betrieben wurden.
„Wir sind in drei Jahren weit gekommen“, findet Mark. „Aber wir wissen auch, dass es ein Prozess ist. Denn die Unternehmen sind sehr verschieden, gerade die kleinen und mittleren. Und davon gibt es viele auf Fünen.“
Nachhaltigkeit sei komplex: Kommunikation, Energie und Natur sind nur einige Stichworte. Dazu komme, dass zehn Gemeinden koordiniert werden müssten. „In unserer Strategie geht es auch darum, auf welchen Gegenden der Fokus liegen soll, und wie man Nachhaltigkeit messen kann.“
Touristische Unternehmen wurden beraten, wie sie umweltfreundliche Ziele ganz praktisch erreichen können, unter anderem in Workshops und Webinaren. Knapp zehn Firmen haben inzwischen einen klaren Plan, wie sie Lieferketten, Kommunikation oder CO2-Bilanz verbessern können. „Sie schauen zum Beispiel verstärkt darauf, ob auch ihre Zulieferer nachhaltig arbeiten. Denn der größte Teil der Umweltverschmutzung stammt von ihnen.“
Die meisten Touristiker hätten sehr positiv auf die Anregungen reagiert, meint Mark. „Nach unseren Treffen haben sie angefangen, in ihrem Unternehmen mehr auf diese Aspekte zu achten und Lösungen zu finden.“ Ein gutes Beispiel sei der Zoo in Odense. „Dort gab es vorher keine Strategie für Nachhaltigkeit. Aber sie haben angefangen, alles zu prüfen: Futter, Lieferanten, sogar die Betreuung der Tiere. Nun haben sie sogar ein Zertifikat bekommen.“
Inzwischen legen vier von fünf touristischen Unternehmen auf der Insel Wert auf Nachhaltigkeit – vor 2020 war es nur ein Drittel. Aber Mark wünscht sich, dass wirklich alle mitmachen. „Die Gäste müssen das auch merken, denn vielen wird es immer wichtiger – auch wenn es noch kein treibender Faktor im Tourismus ist. Aber es ist ein Grund, wiederzukommen.“
Fünen sei sauber und sicher, naturnah und nicht so überlaufen – und das solle auch so bleiben. „Wir brauchen in Zukunft eine sichtbare Vision von Nachhaltigkeit, die die Gäste verstehen und an der wir sie beteiligen können – das wäre das nächste Level. Das ultimative Ziel ist ein Tourismus, der die Region besser macht. Das ist sehr schwierig, aber wir haben damit angefangen.“
Klima-Anpassung am Kleinen Belt

In der Altstadt von Middelfart scheint die Zeit stehengeblieben zu sein: Schmale Gassen sind von kleinen Häusern gesäumt, Rosen an den Häuserwänden geben dem Ganzen ein zusätzlich malerisches Flair. Aber wenn es stark regnete – so wie es durch den Klimawandel inzwischen immer häufiger vorkommt -, waren Straßen und Keller schnell überschwemmt.
Doch die Stadt am Kleinen Belt hat eine ebenso praktische wie ansehnliche Lösung gefunden, die überforderte Kanalisation zu entlasten: Der Regen wird von Straßen, Gehwegen und Dächern in Wasserkanäle am Straßenrand umgeleitet. Erste Überlegungen gab es schon 2012, fertig war der Umbau dann 2020.
Zu sehen ist dies auf einem etwa drei Kilometer langen Rundgang durch das Quartier. Er beginnt an der Nicolai-Kirche oberhalb der Hafenstraße und führt durch die idyllischen Gassen bis zum Adlerhus-Tor. Hier geht das Dorfquartier ins Waldviertel über, der Friedhof nebenan ist einen Spaziergang wert.
Weiter geht es in den sogenannten Aktiv-Wald, einem großen Spielplatz direkt neben dem Stadion. Hier kommen nicht nur Kinder in Bewegung.
Ein paar Schritte weiter Richtung Hafen öffnet sich ein kleiner Platz, wo das Regenwasser aus den anliegenden Straßen in einem Bassin gesammelt wird. Von hier läuft es weiter über eine Wassertreppe Richtung Hafen.
Gleich daneben liegen die sogenannten Heringsfelder. Dort wird bei Regen das Wasser in einem Spiegelbecken gesammelt und in den Kleinen Belt abgeleitet.
Am Endpunkt des Rundgangs, nahe dem Start, finden sich ein Sandfang und ein Fettabscheider mit 4.500 Litern Fassungsvermögen, die das Regenwasser reinigen, bevor es in den Kleinen Belt fließt.
Immer wieder kommen Delegationen aus anderen Städten Europas in die „wilde Gemeinde“ Middelfart, um sich von diesen Ideen inspirieren zu lassen. Und auch die Einheimischen sind aufgerufen, klimafreundliche Ideen im Kleinen umzusetzen. Jedes Jahr im September kommen 45.000 Dänen hierher: Beim sogenannten Klima-Folkemøde, einem Bürgertreffen, werden Ideen, Erfahrungen und Pläne ausgetauscht.
In Middelfart selbst ist ein Verein entstanden, der – nach eigener Auskunft - „mehr Natur in Gärten, Balkonkästen, Wiesen und Feldern schaffen“ möchte. Und wo an den Häuserwänden die malerischen Rosen wachsen, wird ein Teil des aufgefangenen Regenwassers an die Wurzeln der Pflanzen geleitet – so muss dafür kein Trinkwasser benutzt werden.